Noch vor wenigen Jahren war Gluten nur wenigen Menschen ein Begriff. Inzwischen ist Gluten in aller Munde … allerdings nur theoretisch, da es nunmehr als ungesund eingestuft und für viele Beschwerden verantwortlich gemacht wird.
Gluten kommt im Mehlkern verschiedener Weizengetreide vor und besteht aus wechselnden Anteilen der Aminosäuren Gliadin und Glutenin. Es entwickelt im (feuchten) Teig bindende und klebende Eigenschaften und wird daher auch Klebereiweiß genannt. Es ist notwendig, um gelockerte Brote und Brötchen backen zu können. Die Menge und Beschaffenheit dieses Klebers entscheidet über die Backeigenschaften bzw. Backfähigkeit des Teiges für „unser täglich Brot“.
Diesen Kleber kann man aus Weizenvollkornmehl auswaschen, um ihn zum Beispiel mal näher betrachten zu können. Dazu nimmt man 50 g fein gemahlenes Vollkornmehl (z.B. Weizen, Dinkel, Hartweizen, Emmer oder Kamut), vermischt es mit 30 ml Wasser und verknetet es mit der Hand zu einem Teig. Diesen Teig lässt man noch mal ca. 20 Minuten quellen und beginnt dann vorsichtig mit dem Auswaschen. Dazu wird der Teig unter einem leichten, dünnen Kaltwasserstrahl zwischen beiden Händen ständig geknetet und bewegt. Dabei fließen die wasserlöslichen Stoffe – Stärke und Faserstoffe – nach und nach ab und der elastische Feuchtkleber, das Gluten, bleibt übrig. Es zeigt sich kaugummiartig zäh und die Eiweißstränge sind zu erkennen. Diese Eiweißstränge können qualitativ sehr unterschiedlich sein. Sie bilden – so wie ein stabiles Netz – das Teiggerüst und entscheiden damit, ob ein Brot „gute Backfähigkeit“ besitzt.
Nun essen die Menschen seit vielen tausend Jahren gebackene Brote und haben sie in der Regel bis vor wenigen Jahren auch gut vertragen. Brot war sogar so wichtig und nahrhaft, dass die Menschen für „unser täglich Brot gib uns heute“ gebetet haben.
Was hat sich nun verändert, dass inzwischen sehr viele Menschen auf Gluten verzichten und es für eine Vielzahl von Beschwerden verantwortlich machen? Nur sehr wenige Menschen mussten und müssen Gluten tatsächlich vollständig meiden, da sie unter der Krankheit Zöliakie leiden.
Bis vor einigen Jahrzehnten wurde Brot aus dem vollen Korn gebacken. Ein lockeres und schmackhaftes Brot wurde aus den Zutaten Vollkornmehl, Wasser und Salz hergestellt. Das Getreide wurde dazu in der Regel kurz vor dem Backen frisch gemahlen, so dass alle Inhaltsstoffe beim Backen noch weitestgehend erhalten waren. Brot wurde zum Beispiel aller 1-2 Wochen in entsprechend großer Stückzahl für die bäuerliche Großfamilie gebacken oder auch auf traditionelle Art in kleinen Bäckereien. Zum Backen nahm man überwiegend Roggen, der zu schmackhaften und sättigenden Sauerteigbroten verbacken wurde. Sauerteig (bestehend aus (Roggen)Mehl und Wasser) war bis vor ca. 100 Jahren das einzige Säuerungs- und Lockerungsmittel für Brotgetreide. Erst seit dieser kurzen Zeitspanne gibt es auch Reinzucht-Backhefen. Roggen wird erst über die Versäuerung backfähig. Er hat einen deutlich niedrigeren Glutengehalt als Weizen oder Dinkel.
Wie backen wir heute? Die häusliche (Brot)Bäckerei mit traditionellen Zutaten spielt insgesamt eine eher untergeordnete Rolle. Sie ist einigen Idealisten vorbehalten. In der heutigen gewerblichen Bäckerei – von der die meisten Menschen ihre Backwaren beziehen – wird mit erheblichen chemisch-technischen Hilfsmitteln gearbeitet. Schließlich muss – trotz unterschiedlicher Backeigenschaften des Ausgangsprodukts Getreide – ein immer gleichbleibendes Ergebnis und ein maschinentauglicher Teig vorhanden sein. Damit das realisierbar ist, gibt es im Prinzip keine unbehandelten Mehle mehr. So wird mit diversen Mehlbehandlungsmitteln wie Ascorbinsäure (E300), Natrium-L-Ascorbat (E301), Calcium-L-Ascorbat (E302), Lecithin (E322), Mono- und Diglyceriden von Speisefetten (E471), Milchsäureester von Mono- und Diglyceriden von Fettsäuren (E472b), Zuckerester von Speisefettsäuren (E473), Natriumstearoyl-2-lactylat (E481), Cystin (E920) u.a. Mitteln gearbeitet. Die Bäckerei gleicht einem Baukastensystem, bei dem – je nach gewünschtem Ergebnis – in die chemische „Trickkiste“ gegriffen wird. Gleichzeitig wird überwiegend mit Auszugsmehlen gearbeitet, denen viele wichtige Vitalstoffe fehlen, da sie größtenteils im Keimling und den Randschichten des Getreides lagern. Genau diese Bestandteile des Korns werden bei Auszugsmehlen entfernt, um u.a. eine lange Haltbarkeit der Mehle zu erreichen.
So werden unsere heutigen Backwaren aus konzentrierten Kohlehydraten und dem Klebereiweiß aus Getreide – ohne die zur Verdauung und Verstoffwechselung notwendigen Vitalstoffe der Randschichten und des Keimlings – hergestellt. Dazu kommen, wie bereits erwähnt, reichlich chemische Mehlbehandlungsmittel für ein sichtbar gutes und gewohntes Backergebnis. Getreideprodukte in Form von Brot, Brötchen, Baguettes, Croissants, Fladenbroten, Pizza, Pasta, Kuchen, Knabbereien und vielen anderen Backwaren machen heute durchschnittlich weit mehr als die Hälfte unserer täglichen Nahrung aus. Damit sind sie für unsere Gesundheit von entscheidender Bedeutung.
Diese beschriebenen Verarbeitungs- und Essweisen haben sich erst in den letzten Jahrzehnten so gravierendend verändert. Unser Körper ist mit diesen Extrakten (Auszugsmehl) aus natürlichen Produkten (wie Getreide) und der Zugabe vieler chemischer Stoffe überfordert. Diese Art der Verarbeitung und Ernährung hat sich von einer natürlichen, regionalen und saisonalen Ernährung sehr weit entfernt. In Folge dessen reagiert unser Körper mit Störungen in Verdauung und Stoffwechsel und unterschiedlichen Folgesymptomen. Das heißt, nicht ein einzelner Inhaltsstoff eines Lebensmittels, wie Gluten aus dem Getreide, (außer bei Menschen, die von klein auf an Zöliakie erkrankt sind) ist für die Störungen verantwortlich, sondern unsere industrialisierte Nahrung und unser entsprechend angepasstes Essverhalten. Dieses Essverhalten erlernen wir inzwischen von klein auf und stellen es daher auch kaum in Frage. Stattdessen werden schuldige Inhaltsstoffe gesucht und natürlich auch gefunden …
Interessante Bücher zum Thema:
„Korngesund“ von Waltraut Becker
„Leitfaden für Hobbybäcker“ von Waltraut Becker und Ute Olk
„Unsere Nahrung – unser Schicksal“ von Dr. Max Otto Bruker