Noch sieht es so aus, als schlafen die Pflanzen. Aber in ihrem Inneren bereitet sich die Pflanze bereits darauf vor, sich schon bald wieder zu ihrer vollen Schönheit zu entfalten, zu wachsen und sich über ihre Früchte zu vermehren. Die meisten Bäume und Sträucher haben im Herbst ihr Blätterkleid abgeworfen und stehen nun „unbekleidet“ in den Startlöchern, um sich schon bald wieder mit ihrem wertvollen und wunderschönen Laub zu schmücken. Im Moment lässt sich nur erahnen, welche Blätter- und Blütenpracht in den nächsten Wochen wieder zu sehen sein wird. Aber wir können zumindest schon jetzt an den Knospen (sowie natürlich an der Statur des Baumes, der Rinde usw.) erkennen, um welchen Baum oder Strauch es sich handelt. Jeder Baum hat einzigartige und für ihn typische Knospen. Schau Dir beim nächsten Waldspaziergang doch mal intensiv die unterschiedlichen Formen und Farben der Knospen an und nimm sie auch durch Berührung mit den Fingerspitzen und über die Nase mit ihrem Geruch wahr. Du wirst eine beeindruckende Vielfalt entdecken. Wenn Du Dir sicher bist, dass die Knospen essbar sind (wie zum Beispiel Knospen von Haselnuss, Linde, Buche, Birke und Ahorn), dann darfst Du auch gern mal (umsichtig) die ein oder andere naschen und wirst auch hier große Unterschiede feststellen.
Knospen tragen – ähnlich wie ein Samenkorn – die Lebenskraft des jeweiligen Baumes oder Strauches in sich und sind daher für das weitere Leben dieser Pflanze ganz besonders wichtig. Das deutsche Wort Knospe geht auf eine umfangreiche Gruppe von germanischen Wörtern zurück – wie z.B. Knoten oder Knopf – und hat die Bedeutung von „zusammenballen oder zusammendrücken“. Eine Knospe ist also „etwas Zusammengeballtes“. Botanisch gesehen sind in einer Knospe der Stängel mit den Blatt- und/oder Blütenanlagen auf kleinstem Raum „zusammengeballt“. Im Volksmund wird die Knospe oft auch als „Auge“ bezeichnet, was darauf hinweist, dass die Knospe neben der „nach innen gerichteten“ Wirkung (zusammenballen) auch eine „nach außen gerichtete“ Wirkung besitzt. So hat sie das zukünftige Pflanzenorgan in sich verdichtet und zum rechten Zeitpunkt strebt sie damit nach außen und entfaltet sich. Es ist für mich immer wieder beeindruckend, wie perfekt und effizient die Natur funktioniert.
Die Knospen werden von den Bäumen und Sträuchern bereits im Herbst angelegt und mit ganz besonderen Wirkstoffen ausgestattet, um gut über den Winter zu kommen und im Frühjahr austreiben zu können. Sie müssen in dieser Zeit vor Pilzerkrankungen, Bakterien, Frost und anderen Schäden geschützt werden. Die Knospe ist die Trägerin der Lebenskraft, die jedes Jahr aufs Neue aufgeht und auf vielfältige Weise Grundlage jeden Lebens ist.
Und so wertvoll, wie Knospen für die einzelne Pflanze und die Natur insgesamt sind, können sie es auch für uns sein. Der Wirkstoffkomplex in den Knospen ist auf gesundes Wachstum und Entfaltung ausgerichtet. Und genau diese Kraft schenken sie auch unserem Körper. Alle Knospen enthalten viel pflanzliches Eiweiß, reichlich Mineralien, Enzyme, Vitamine, Polyphenole und Phytohormone. Damit wirken sie in unserem Körper entgiftend, entzündungshemmend, lymphanregend, stoffwechselanregend, regenerierend und anregend auf unsere Selbstheilungskräfte. Sie sind ein wahres Kraft- und Gesundheitspaket. Dabei hat jeder Baum oder Strauch natürlich noch ganz spezielle artspezifische Inhaltsstoffe sowie Heilkräfte.
Dieses pflanzliche Embryonalgewebe in Form von Knospen lässt sich als „Knospenextrakt“ – und damit als Gesundheitselixier – sehr gut nutzen oder einfach als wertvolle Ergänzung in der „wilden Küche“.
Blatt- und Blütenknospen, aber auch Schösslinge sowie Sprossen und Keime stellen in der Küche eine wunderbare kulinarische und gesundheitliche Bereicherung dar. Dabei bieten wilde und rohe Schösslinge und Knospen den höchsten Gehalt an Vitalstoffen. Zum Einstieg in diese Art der „wilden Küche“ bieten sich zum Beispiel die geschlossenen Knospen sowie ganz junge – gerade erst aufgegangene – Blätter von Linde, Rotbuche, Hainbuche, Eiche und Esskastanie an. Sie sind angenehm mild im Geschmack. Etwas säuerlich sind die Knospen, Schösslinge und jungen Blätter von Weißdorn, Hundsrose, Berg- und Feldahorn. Und, falls Du es gern etwas aromatischer magst, kannst du gern an Birke, Pappel, Tanne oder Fichte naschen. Ebenso bietet die Lärche sehr leckere weibliche und männliche Blütenknospen und Blüten mit ein paar dazugehörigen Blattnadeln an. Interessant sind auch die Knospen der Eberesche – sie schmecken lieblich bitter.
Wie wäre es denn zum Beispiel mal mit einem Knospen-Oxymel als Salatdressing oder einem Knospen-Pfeffer oder einer Knospen-Sauce? Es gibt viele Möglichkeiten, Knospen (sparsam und mit Bedacht) in der Küche zu verwenden und kulinarische Akzente zu setzen. Dazu können essbare Knospen einfach in Gerichte integriert sowie über eine Dekoration Akzente gesetzt werden.
Ein Knospen-Pfeffer lässt sich zum Beispiel gut aus Walnussknospen herstellen. Dazu werden die Walnussknospen einfach mit bunten Pfefferkörnern gemischt, in die Pfeffermühle gegeben und für winterliche Gemüsegerichte genutzt.
Die Zeit von Februar bis April – wenn die Knospen langsam anschwellen und sich zu öffnen beginnen – ist eine wunderbare Zeit, um einen Ausflug oder eine Wanderung mit ganz besonderen Geschmackserlebnissen zu kombinieren und auch die ein oder andere Knospe zur weiteren Verwendung in der Küche mitzunehmen. Bitte nur wenige Knospen entnehmen und statt des sommerlichen Sammelkorbes lieber den Fingerhut zum Sammeln nutzen.
Besonders gut kann die Kraft und das Gesundheitspotential von Knospen in Form einer Knospenessenz, auch Gemmomazerat genannt, genutzt werden (Knospe lat.: Gemma). Dazu werden einige Knospen einer Pflanzenart in einem Gemisch aus Glycerin und Alkohol eingelegt. Sie geben bei diesem Prozess ihre Heilkräfte an das Alkohol-Glycerin-Gemisch ab. Nach 3-4 Wochen wird abgefiltert und das fertige Mazerat kann kurweise oder bei Bedarf ein bis mehrmals täglich tropfenweise eingenommen werden.
Ein sehr empfehlenswertes Buch, in dem die Herstellung und die Wirkungen verschiedener Knospenessenzen beschrieben werden, heißt „Gemmotherapie“; es wurde von Chrischta Ganz und Louis Hutter geschrieben.
Viel Freude beim Entdecken und Ausprobieren!